The Food Rescue Commitee

Jugendliche zu überzeugen, dass die Verarbeitung geretteter Lebensmittel ein wirksamer Beitrag zum Klimaschutz ist, war nur ein Ziel. Es ging auch darum, im Kontext solidarischen Wirtschaftens selber eine eigene marktfähige Produktline zu entwickeln.

Jugendliche davon zu überzeugen, dass die Verarbeitung geretteter Lebensmittel ein wirksamer Beitrag zum Klimaschutz ist, war nur ein Ziel des Projekts „The Food Rescue Committee", das wir gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern eines Berufsvorbereitungsjahrgangs durchgeführt hatten. Es ging auch darum, im Kontext solidarischen Wirtschaftens aus geretteten Lebensmitteln selber eine eigene marktfähige Produktlinie zu entwickeln.
 
Die Zahlen sind beeindruckend. In Deutschland fallen auf dem Weg von der Landwirtin bzw. vom Landwirt bis zum Teller Lebensmittelabfälle im Umfang von 11 Millionen Tonnen an. Viele werden überrascht sein: 59 Prozent davon bleiben in den Privathaushalten übrig. Allein in den Münchner Haushalten landen Tag für Tag rund 168.500 Kilogramm verzehrbare Lebensmittel im Müll. Das war der Ansatzpunkt für das Projekt „The Food Rescue Committee", für das sich acht Jugendliche einer Berufsvorbereitungsklasse des Euro-Trainings-Centre e.V. gemeldet hatten.
 
Mit der Community Kitchen hatte das MUZ die ideale Partnerin gefunden. „In dem Projekt ging es uns darum, die Jugendlichen für das Thema Lebensmittelverschwendung zu sensibilisieren und zu zeigen, dass sie mit kleinen Mitteln wirksam sind", sagt Günes Seyfarth, die die Community Kitchen ins Leben gerufen hat. „Aufessen, was eh schon da ist", lautet ihr Motto. Dieser Ort ist wohl derjenige, an dem sich in München das Thema  Lebensmittelverwendung – oder positiv formuliert: Lebensmittelwertschätzung – am deutlichsten erleben lässt. In der ehemaligen Betriebskantine der Allianz verarbeitet die Community Kitchen sogenannte „gerettete" Lebensmittel aus dem Großmarkt. Denn viele Lebensmittel, die dort nicht verkauft werden konnten, werden entsorgt. Und das oftmals nicht, weil es schlechte Lebensmittel sind, sondern weil sie entsprechend der Vertriebslogik unseres Ernährungssystems Tag für Tag übrig bleiben. Mal müssen sie Platz machen für die neue Lieferung, mal ist die Verpackung angeschlagen. Unsere Lebens- und Wirtschaftsweise kalkuliert diese Verschwendung wertvoller Lebensmittel und der dafür bereit gestellten Ressourcen wie fruchtbarer Ackerboden, Wasser und Transport bereits ein.

15.000 Kilogramm werden in der Community Kitchen pro Woche zu leckeren Gerichten verarbeitet und gelangen ins Restaurant, in den Shop oder ins Catering. Über das Jahr gerechnet werden rund 1.500 Tonnen CO2 eingespart. Wer den Ort in der Fritz-Schäffer-Straße in München-Neuperlach noch nicht kennt, sollte ihm einen Besuch abstatten und einfach einmal dort im Restaurant zu Mittag essen.

Die Jugendlichen kamen zwischen Mai und Juli 2022 immer montags dorthin. Bevor sie sich kulinarisch mit einer leckeren Mahlzeit belohnen konnten, haben sie an ihrem Projekt gearbeitet. Zuerst haben sie das Team kennengelernt, wurden mit den Verhaltensregeln einer Betriebsküche vertraut gemacht und haben die Räumlichkeiten besichtigt – sichtlich beeindruckt von den Mengen der geretteten Lebensmittel, die palettenweise in den Kühlräumen auf ihre Verarbeitung in der Küche warten. Aber es mussten zunächst auch Vorbehalte abgebaut und gezeigt werden, dass diese Lebensmittel nicht minderwertige Waren sind. Für die jungen Leute in der Berufsvorbereitung mochte es zunächst auch überraschend gewesen sein, dass sich neben dem professionellen Team in der Küche auch Freiwillige für caritative Zwecke einbringen. Zum Beispiel indem sie unentgeltlich für ukrainische Flüchtlinge am Hauptbahnhof Vesperbrote schmieren.  Hierfür Toastbrote mit Frischkäse zu bestreichen, mit feingeschnittenen Gurkenscheiben zu verzieren und schließlich in Transportkisten zu verpacken, war eine Aktion, bei der sich die Jugendlichen spontan einbringen konnten. Die Jugendlichen wurden, wenn man so will, ins kalte Wasser einer für sie unbekannten Kultur geworfen. Nachhaltiges und gemeinnütziges Wirtschaften in weitgehend hierarchiefreien Strukturen gehören in der Regel nicht zu ihrem Lebensalltag. Für Özlem K?z?lda?, die in der Community Kitchen im Bereich Nachhaltigkeitsbildung arbeitet, ist es ein großes Anliegen, den jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, selbstbestimmtes und selbstwirksames Arbeiten kennenzulernen. „Natürlich bieten wir den Jugendlichen in diesem Projekt eine gewisse Struktur", sagt sie. „Man darf sich das aber nicht so vorstellen, dass wir alles vorgeben. Wir hören zu, geben ihnen einen Vertrauensvorschuss, spüren den Flow und geben Raum für eigene Entscheidungen. Was wir wollen ist, dass sie sich frei fühlen und sich im Rahmen der Möglichkeiten entfalten können."

So konnte sich die Gruppe gemeinsam darauf verständigen, welche Lebensmittel sie verarbeiten und welches Produkt sie daraus herstellen wollen. Weil Unmengen an Tomaten und Paprika in den Kühlräumen lagerten, fiel die Wahl auf Ketchup und Ajvar. Zwei Produkte, die sie selber gerne essen. Sie haben dafür ihre eigenen Rezepturen entwickelt. In badewannengroßen Kübeln wurden die Zutaten mit einem gigantischen Mixer püriert, eingekocht und am Ende in Gläser abgefüllt. Ein wenig Mathematik war dafür nötig. Mit dem Dreisatz wurden die Mengen auf die großen Dimensionen hochskaliert. Und auch etwas Theorie durfte nicht fehlen. Welche Hygieneregeln müssen beachtet werden? Wie macht man Lebensmittel haltbar? Welche Informationen gehören auf ein Etikett? Wie bestimmt man die Mengenverhältnisse der Zutaten und wie errechnet man die Nährwerte? Und: Was muss man noch tun, um die Gläser auf den Markt zu bringen? Richtig, was fehlt ist ein Marketingkonzept.

Das Kind braucht einen Namen. Der war schnell gefunden. Das Rezept: Man nehme die Anfangsbuchstaben der Vornamen aller Beteiligten, sortiere sie so, dass sie assoziativ an das Produkt erinnern und garniere ihn mit einem Social-Media-anmutenden Präfix. Herausgekommen ist #MIGLAS und damit eine Marke, mit der sich alle identifizieren und auf die sie stolz sind.  Markenbewusstsein ist etwas, was in der Szene der jungen Leute stark ausgeprägt ist. „Wir müssen auf jeden Fall ‚vegan‘ draufschreiben. Das macht sich gut!", sagt einer. Das Etikett soll nicht nur Produktinfos geben, sondern auch stylisch daherkommen, wurde ebenso gefordert. Farbgebung, Typografie und weitere gestalterische Elemente wurden mithilfe der App Canva ausgewählt und kombiniert. Eine Paprika für das Ajvar, die Tomate für das Ketchup.
 
Und am Ende die Königsdisziplin: Ein Werbeclip, der #MIGLAS richtig in Szene setzt. Thomas Ebert, Redakteur, Filmemacher und Medienpädagoge, wurde hierfür angeheuert. Im Fotostudio des Shaere in der Community Kitchen gab es beste Voraussetzungen für einen Clip in High End Qualität. Eine ausgeleuchtete Hohlkehle, Schminktisch, eine Couch als Requisite. Das gemeinsame Brainstorming setzte bei den Jugendlichen die nötige Kreativität frei. Drei  Protagonist*innen machen es sich auf dem Sofa bequem. Nahaufnahme auf das Produkt. Es folgt der Geschmackstest. Voll begeistert, gemischt mit einer Portion Erstaunen, hört man: „Das ist lecker!" Man weiß nicht genau, ob es sich um echte Emotionen handelt. Aber die schauspielerische Leistung wirkt absolut glaubwürdig. So wie es sein muss. Ein Geistesblitz am Ende der Dreharbeiten ergänzte den Markennamen um einen Zusatz, dessen Genialität sich durch das selbstironische Augenzwinkern und einem leichten Schmunzeln im Schlussbild des Clips unschlagbar offenbarte. #MIGLAS – „Aus geretteten Lebensmitteln. Von der Straße, für die Straße." Applaus vom gesamten Team. Keine Frage, das war großes Kino. (mh / Der Text stammt aus dem muz09)
 


Das Projekt „The Food Rescue Commitee" ist ein interkulturelles, partizipatives BNE-Projekt mit etwa 10 Jugendlichen im Rahmen des Berufsvorbereitungsjahrs (BVJ) des Euro-Trainings-Centre e.V. (ETC) in Kooperation mit dem Ökologischen Bildungszentrum München (ÖBZ). Das Projekt wurde durchgeführt von Mai bis Juli 2022 und gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz im Rahmen des Förderprogramms „Jugendsozialarbeit – mit Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Zukunft" mit der EJSA Bayern.


Das Projekt betrifft die Nachhaltigkeitsziele

   SDG 8 Menschenwürdige Arbeit