Rund 50 Interessierte aus Wissenschaft, Verwaltung und
Stadtgesellschaft trafen am 14. November 2025 im Ökologischen Bildungszentrum
München zum Symposium „Biodiversität denken – Vom Verstehen verschiedener
Perspektiven zum gemeinsamen Gestalten" zusammen. Sie wollten mehr über diese
Perspektiven erfahren, die ihnen aus der Philosophie, der wissenschaftlichen
Forschung und der Praxis dargeboten wurden. Erfahren sollten sie auch, wie die
Akteur*innen des BioDivHubs-Projekts die Erkenntnisse in ein gemeinsames
Gestalten einfließen lassen.
Vernetzung und Austausch
Bei Tee, Kaffee und Brezn bot sich am Vormittag gleich die
Gelegenheit, Kontakte aufzufrischen und neue Kontakte zu knüpfen, bevor die
Begrüßung von Marc Haug die Bühne für einen intensiven Austausch bereitete.
Bereits beim Eintreffen durfte sich jeder Gast einen Zettel mit einem
bestimmten Biodiversitätscharakter aussuchen. Die zur Auswahl stehenden
Begriffe reichten von „pragmatischer Macher" über „unaufhaltsame
Guerillagardenerin" bis „sinnlicher Ästhet". Diese bisweilen selbstironischen
Selbsteinschätzungen waren in der anschließenden „Murmelrunde" der Anlass, mit
dem Nachbarn oder der Nachbarin ins Gespräch zu kommen, sich persönlich in
Beziehung zur Biodiversität zu setzen und auf das Thema einzustimmen.
Philosophisches Impulsgespräch
Das Impulsgespräch „Biodiversität denken" bestritten Prof. Dr.
Benjamin Rathgeber von der Hochschule der Philosophie München, an der er das
Fachgebiet „Natur- und Technikphilosophie" vertritt, und Michael Hebenstreit,
Experte für Systemische und Wirtschaftsphilosophische Beratung mit Fokus auf
Klimaschutz und Biodiversität. Benjamin Rathgeber erläuterte die Anfänge der
Unterscheidung von Mensch und Natur in der abendländischen Naturphilosophie, in
der Aristoteles die Natur als etwas, was sich selbst verursacht, beschreibt,
während er das, was der Mensch verursacht, Kultur nennt.
Daran anknüpfend wendet sich Michael Hebenstreit dem
Biodiversitätsbegriff zu, der genetische Vielfalt, Artenvielfalt und Vielfalt
der Ökosysteme umfasst. Je nach Zugang – ästhetisch, funktional, ökonomisch,
ökologisch – rückt die Frage in den Vordergrund, in welchem Spektrum des
Mensch-Naturverhältnisses wir uns jeweils befinden. Er betont: Mit „Natur" und
„Biodiversität" arbeiten wir mit komplexen Begriffen, die viele
Unterbedeutungen und Perspektiven enthalten. Das kann zu Konflikten führen (z.
B. Naturschutz vs. Naturnutzung), aber auch zu produktiven
Verständigungsprozessen, sofern wir reflektieren, was wir jeweils meinen.
Arbeitsansätze und Erfahrungen im Gemeinschaftsprojekt
BioDivHubs
In einem zweiten Teil stellten die Verbundpartner des
BioDivHubs-Projekts ihren Arbeitsansatz, ihre Erfahrungen und
Zwischenergebnisse vor.
Julia Gamberini von der BürgerStiftung München stellte den
Projektrahmen vor. Monika Egerer und David Schoo von der Technischen
Universität München erläuterten ihren Ansatz, mit Citizen Science die
Entwicklung der Biodiversität zu begleiten. Ulrike Sturm stellte für den Verbundpartner Museum für Naturkunde Berlin
Ergebnisse ihrer Befragungen zum Zusammenhang zwischen psychosozialen Faktoren
und bestäuberfreundlichem Verhalten in den Quartieren vor. Konrad Bucher vom
MUZ gab mit Beispielen aus den Modellquartieren am ÖBZ und am StadtAcker
Antworten auf die Frage: Warum wir auf die Beziehungspflege Mensch-Natur
setzen, und Marion Eder und Andrea Skiba vom Green City e.V. zeigten anhand von
Aktivitäten in den Quartieren Giesing und Isarvorstadt wie BioDivHubs als
lebendige Zentren biologischer Vielfalt geschaffen werden.
Die Beiträge zeigten, wie unterschiedliche
Perspektiven in die Erreichung der Projektziele einfließen.
Gesprächsrunde „Rewilding the City
Den Abschluss des Vormittags bildete die spannende Gesprächsrunde mit
dem Thema „Rewilding the City" zwischen Dr. Ernst Habersbrunner (Bund
Naturschutz) sowie Prof. Dr. Monika Egerer, David Schoo und Konrad Bucher vom
BioDivHubs-Team.
In der Diskussion ging es um Spannungen und Verständigung zwischen
gärtnerischer Praxis und Naturschutz – speziell rund um Biodiversität in der
Stadt. Ausgangspunkt des von Michael Hebenstreit moderierten Gesprächs war das
„Conservation Gardening-Konzept" mit seltenen, geschützten Arten. Konrad Bucher
schilderte am Beispiel des Balkonprojekts, wie man begeistert mit
Roten-Liste-Arten gestartet sei, dann aber mit der Kritik möglicher
Florenverfälschung und dem Verlust im lokalen Genpool konfrontiert wurde. In
der Folge fand ein intensiver und wertvoller Reflexionsprozess über die Frage
geeigneter Pflanzen für derartige Biodiversitätsmaßnahmen statt, an der
Expert*innen aus der Wissenschaft und dem Naturschutz eingebunden wurden.
Darunter war auch Ernst Habersbrunner vom Bund Naturschutz, weswegen er zu der
Gesprächsrunde eingeladen wurde. Er stellte aus der Position des Naturschutzes
klar: Gerade bei seltenen Arten sei der lokale, autochthone Genpool
entscheidend, weil Durchmischung weit entfernter Herkünfte die genetische
Vielfalt innerhalb der Art verringern könne und ihre Resilienz beispielsweise
gegenüber Klimaveränderungen dadurch sinken würde. In dicht bebauten
Innenbereichen der Stadt spiele die Herkunft des Pflanzmaterials keine so
entscheidende Rolle, aber an Grenzen zur freien Natur sollte man sehr genau auf
Herkunft und Artwahl achten. Das lässt sich allein schon aus der Regelung im
Bundesnaturschutzgesetz ableiten, die in der „freien Natur" den Einsatz von
gebietseigenem, heimischem Pflanz- und Saatgut verlangt. In diesem Zusammenhang
stellte David Schoo stellte die von der TU München entwickelte Saatgutmischung
mit 32 heimischen Wildpflanzen vor. Die Mischung entstand durch Vermehrung von
Samen aus dem sogenannten Ursprungsgebiet 16 (Unterbayerische Hügel- und
Plattenregion), die zusätzlich nach einem wissenschaftlich begleiteten
Trockenstresstest ausgewählt wurden. Eine praktische Erkenntnis für viele der
Zuhörenden war, dass dieses Saatgut auch nur in diesem Ursprungsgebiet für eine
artenreiche Blühwiese zum Einsatz kommen sollte.
Für das Projekt war wichtig, den vielleicht anfangs etwas „naiven"
Ansatz mit seltenen Arten als pädagogischen Türöffner zu erkennen, der das
Interesse, sich zu beteiligen, weckt, erläuterte Konrad Bucher. Die Menschen
verstehen dann, dass Arten aussterben, und wollen aktiv helfen. Monika Egerer
betonte die große Herausforderung, die Komplexität (Genetik, Gesetzgebung,
Ökologie) so zu kommunizieren, dass die beteiligten Menschen motiviert bleiben,
statt frustriert abzuschalten.
Im Vergleich zu oft konfrontativen Debatten (z. B. Naturschutz vs.
Landwirtschaft), wirft Michael Hebenstreit ein, erlebe er das Vorgehen im
BioDivHubs-Projekt als kooperativen Prozess – weil viel kommuniziert werde,
niemand „die eine Wahrheit" reklamiere und Expertise verteilt gedacht wird, die
aus dem Zusammenwirken von Wissenschaft, Praxis und Bürger*innen entstehe.
Was bleibt als Fazit? Biodiversitäts- und Naturschutzfragen sind
komplex, aber man kann diese Komplexität schrittweise aufbereiten. Die
Beschäftigung mit Begriffen wie Biodiversität, autochthon, freie Natur helfen
dabei, Klarheit zu schaffen, wenn man sie – wie im BioDivHubs-Projekt geschehen
–gemeinsam ausbuchstabiert. Und nicht zuletzt festigt sich die Erkenntnis, dass
Gemeinschaftsgärten und daraus erwachsene Projekte im Quartier Brücken bauen
können zwischen Fachwissen und Alltagswelt oder zwischen unterschiedlichen
Interessen und damit ein Baustein für eine sozial-ökologische Transformation in
der Stadt sind.
Die Workshops
Nach der Mittagspause ging es in drei parallele Workshops:
Im Workshop „Die beste Biodiversitätsmaßnahme ist Beziehungspflege" wurde
anhand konkreter Beispiele diskutiert, inwiefern die Pflege von
Naturbeziehungen zum Gelingen von Biodiversitäts-Maßnahmen beiträgt und welche
Formen der Beteiligung es dafür braucht. Im Workshop „Welcher Biodiversitätstyp
bin ich?" von Ulrike Sturm und Susan Karlebowski vom Museum für Naturkunde
Berlin näherten sich die Teilnehmer*innen spielerisch ihrer eigenen Beziehung
zur Natur, indem sie Einstellungen zur Natur und Motivation für
biodiversitätsfreundliches Handeln verschiedener Biodiversitätstypen
diskutierten und anschließend mit Methoden des kreativen Schreibens ein
Horoskop für das Jahr 2026 für jeweils einen Typ erstellten.
In dem „Kreativen Praxisworkshop" bot die Künstlerin Katharina Schweissguth mit
einer gemeinschaftlichen Landart-Aktion, dem Bau eines überdimensionalen Nests
aus Totholz und Laub im öffentlichen Raum eine neue, künstlerische Perspektive
auf die Natur an.
Ein positives Feedback rundete die Veranstaltung ab: Es war ein
inspirierender Tag, der gezeigt hat, wie bereichernd es sein kann,
Biodiversität aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Die Kombination
aus Expert*innen-Impulsen und praxisnahen Workshops machte das Symposium zu
einem spannenden Austauschformat.
Das zweite Symposium des BioDivHubs-Projekts wird voraussichtlich im
November 2026 stattfinden. Für mehr Informationen abonnieren Sie gerne den BioDivHubs-Newsletter: https://www.biodivhubs.net/newsletter/